»Literatur und Ökologie. Neue literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven« XVI. Tagung der DGAVL in Saarbrücken, 10.-13.06.2014

Organisation: Prof. Dr. Christiane Solte-Gresser, Dr. Claudia Schmitt

Call for Papers

Ökologie ist während der letzten Jahrzehnte in der westlichen Welt unverkennbar zu einem Leitdiskurs avanciert. Insofern es gegenwärtig darum geht, gesellschaftliche und politische Verantwortung für drängende ökologische Probleme zu übernehmen und praktikable, zukunftsweisende Lösungsvorschläge zu entwickeln, nimmt Ökologie vor allem in den Gesellschafts- und Naturwissenschaften einen wichtigen Raum ein.

Aus kulturgeschichtlicher Perspektive stellt sich nun die Frage, welche Funktionen, Konzeptionen und Modelle des Verhältnisses zwischen Natur und Gesellschaft sich in Literatur und angrenzenden Künsten finden, in welchem Bezug solche Werke zur gesellschaftlichen Wirklichkeit stehen und wie sich diese Blickrichtung für das Verständnis von Ökologie insgesamt fruchtbar machen lässt. Denn bestimmte Parameter – beispielsweise der Gegensatz zwischen menschlichen Bedürfnissen und Respekt gegenüber der Umwelt oder der Umgang mit möglichen Veränderungen der Natur, deren Folgen für den Menschen nur schwer absehbar sind – finden sich bereits seit der Antike in der Literatur repräsentiert. Sie unterliegen seitdem wichtigen historischen Veränderungen und sind zugleich unauflöslich mit ihren jeweiligen kulturellen und nationalen Kontexten verwoben. Darüber hinaus lässt sich beobachten, dass die Literatur selbst bestimmte außerliterarische Diskurse über Ökologie in sich aufnimmt. Wenn man davon ausgeht, dass Literatur einen „Speicher für Lebenswissen“ (Ette) bildet, der im Modus der Fiktion unterschiedlichste ökologische Konstellationen und Konzepte entwirft, erprobt und vermittelt, so wird das Potenzial deutlich, das eine literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektive auf den Gegenstand bietet. Denn Phänomene wie etwa Zivilisationskritik, die Dichotomie zwischen Natur und Kultur oder die Bedrohung durch Naturgewalten bilden seit jeher den Stoff für kulturelle Auseinandersetzungen mit der Umwelt. Daraus ergeben sich eine ganz Reihe an Fragen: Welche Funktion, welche Erscheinungsweisen und welche ästhetischen Verfahren finden sich in Literatur und Kultur hinsichtlich der Beziehungen zwischen Organismen? In welcher Weise sind hier ökologische Phänomene mit ökonomischen verknüpft? Welche Konflikte entstehen hieraus bzw. welche Chancen eröffnen sich? Welchen historischen Wandel erfahren ökologische Zusammenhänge in Literatur und Kunst? Auf welche Weise werden aktuelle Probleme, wie etwa der Klimawandel, in Literatur und Kultur thematisiert? Dies sind Paradigmen, mit denen sich die XVI. Tagung der DGAVL beschäftigen wird. Hierfür soll es erstens darum gehen, an bestehende kulturwissenschaftliche Forschungen aus dem Bereich der literaturökologischen Ansätze anzuknüpfen, zweitens solche Ansätze komparatistisch zu präzisieren und weiterzuentwickeln und drittens Möglichkeiten auszuloten, die sich aus der Verbindung zwischen Literaturwissenschaft und anderen Wissensdiskursen für das Verständnis von Literatur ergeben.

Der Begriff Ecocriticism wurde zuerst 1978 von William Rueckert in seinem vielzitierten Aufsatz „Literature and Ecology. An Experiment in Ecocriticism“ verwendet. Ökokritik stellt seitdem ein stetig wachsendes, aber recht divergentes kultur- und literaturwissenschaftliches Forschungsgebiet dar, als dessen gemeinsamer Untersuchungsgegenstand die Thematisierung von Natur und das Verhältnis zwischen Mensch und Natur bzw. Mensch und Umwelt auszumachen ist. In der englischsprachigen Welt ist der Ansatz seit mehr als 20 Jahren etabliert: Bereits 1990 wurde an der University of Nevada die erste Professur für „Literature and Environment“ eingerichtet. Seit 1992 existiert der amerikanische Verband ASLE (Association for the Study of Literature and Environment), dessen europäisches Pendant EASLCE (European Association for the Study of Literature, Culture, and Environment) 2004 gegründet wurde. In Deutschland hat die Ökokritik vor allem in der Amerikanistik, aber inzwischen auch in der Germanistik immer mehr Fuß fassen können. Hier allerdings eher punktuell: Es entstanden vor allem Studien zur Naturkonzepten in literarischen Epochen und Untersuchungen zu einzelnen Autoren.

Es fällt auf, dass eine dezidiert komparatistische Perspektive bisher kaum entwickelt wurde. Die DGAVL-Tagung in Saarbrücken hat sich zum Ziel gesetzt, diese Lücke zu schließen. Hierfür kann sie an aktuelle Konzepte des soeben bewilligten DFG-Netzwerks „Ethik und Ästhetik in literarischen Repräsentationen ökologischer Transformationen“ unter der Leitung von Evi Zemanek (Albert-Ludwigs-Universität Freiburg) anknüpfen. Es wird darum gehen, das Verhältnis von Literatur und Ökologie vor allem in interkultureller, intermedialer und interdisziplinärer Perspektive fruchtbar zu machen.

Literatur und Ökologie – Mögliche Arbeitsfelder einer komparatistischen Ökokritik

Als zentrale Felder einer ökokritischen Komparatistik wären folgende Bereiche zu nennen, die sich jeweils sowohl in einer diachronen, historischen als auch in einer synchron-systematischen Perspektive erfassen lassen:

Konzepte von Natur, Umwelt und Raum: Naturästhetik, Naturwahrnehmung und -erfahrung, Natur als Metapher und deren Gestaltung in literarischen Texten sind zentrale Erkenntnisgegenstände einer literatur- und kulturwissenschaftlichen Ökokritik. Aber auch die Diskursivierung der Umwelt (im grundsätzlichen Sinn des den Menschen umgebenden Raums) erweist sich als entscheidende Kategorie, kann sie doch unter sehr unterschiedlichen Vorzeichen als Wildnis, Wüste, ewiges Eis und vieles mehr konzipiert werden. Dabei ist der ökokritische Blick nicht auf vorgeblich ‚natürliche‘ Bereiche beschränkt, sondern erfasst auch zunächst weniger naheliegende Räume wie z.B. die Stadt, die private Sphäre, seelische Innenräume oder Welten außerhalb unseres Planeten.

Theorie und Methodik der Ökokritik: Ökokritik hat sich als eine neuere Strömung innerhalb der Literatur- und Kulturtheorie herausgebildet und wird an unterschiedliche Theoriekontexte angekoppelt, wie beispielsweise an Ansätze aus den Gender Studies (z.B. Ecofeminism), den Postcolonial Studies, dem Poststrukturalismus, der Diskursanalyse oder der Systemtheorie. Auch bietet die Ökokritik offensichtlich die Möglichkeit zu fruchtbarer interdisziplinärer Zusammenarbeit mit den Naturwissenschaften, der Ökonomie, der Theologie und weiteren Disziplinen. Dieser Vielfalt methodischer Konzepte und interdisziplinärer Fragestellungen soll in der Auswahl der Tagungsbeiträge Rechnung getragen werden.

Epochen- und Gattungskonzepte: Bestimmte literarische Epochen, wie beispielsweise die Romantik, wurden bereits aus nationalphilologischer Sicht als Hochzeiten der ästhetischen Auseinandersetzung mit Natur untersucht. Solche Periodisierungen aus ökokritischer Perspektive auf ihre Tragfähigkeit hin zu überprüfen, erweist sich als ein ergiebiges Feld einer aktuellen Komparatistik. Aber auch Strömungen, die eher Gegenkonzepte zur Natur entwerfen, wie z.B. der Futurismus, können unter ökokritischen Gesichtspunkten neu analysiert werden. In gattungsspezifischer Hinsicht, wie etwa in der Beschäftigung mit den Textsorten Utopie/Dystopie, Robinsonade, Science Fiction, Postapokalypse, Idylle, Bukolik, nature writing, Naturlyrik, Kinderliteratur u.s.w., ergeben sich ebenfalls neue Einsichten durch eine verstärkte Internationalisierung der ökokritischen Perspektive. Dies gilt auch für eine thematologische bzw. stoff- und motivgeschichtlich arbeitende Komparatistik unter ökokritischen Vorzeichen, in der über die Neubetrachtung kanonisierter Stoffe und Themen hinaus auch neue literarische Motive wie Abfall, Klimawandel oder Umweltschutz erschlossen werden können.

Alterität – Das Fremde denken: Was die Reflexion über den Anderen, die Andere oder das Andere angeht, so ist im Rahmen des skizzierten Tagungsthemas zunächst einmal an die interkulturelle Perspektivierung der Forschungsgegenstände zu denken: Jedes Konzept von Natur und Umwelt ist an seinen jeweiligen kulturellen Kontext gebunden und lässt sich, ohne eine solche kulturspezifische Prägung zu berücksichtigen, kaum angemessen verstehen. Darüber hinaus aber sind gerade auch Texte, die den Versuch unternehmen, die vorherrschende anthropozentrische Sichtweise zu überschreiten, z.B. indem sie das Tier in den Mittelpunkt stellen (Stichwort: Animal Studies) oder andere Lebewesen der Natur zu Perspektiventrägern machen, ergiebige Forschungsgegenstände eines ökokritisch erweiterten Alteritätskonzepts.

Mensch und Natur in Mediengrenzen überschreitender Perspektive: Intermedialität als ein in den letzten Jahren immer bedeutsamer werdendes Arbeitsgebiet komparatistischer Forschungen erweist sich als ein besonders fruchtbarer Bereich für ökokritische Analysen. Einerseits erfährt das zu untersuchende Textkorpus durch die Auseinandersetzung mit plurimedialen Werken wie Film, Musik (z.B. Lied, Oper), Bildender Kunst, Comic, Computerspiel, Theater(inszenierung) eine entscheidende Erweiterung. Andererseits sind gerade von intermedialen Vergleichen wichtige Erkenntnisse im Hinblick auf die Frage zu erwarten, welche ästhetischen Gestaltungstechniken, d.h. welche textuellen, bildlichen oder performativen Verfahren auf welche Weise unsere Vorstellung vom Verhältnis zwischen Mensch und Umwelt prägen.

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